Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!
Über den Verlust der Verbundenheit in Zeiten der Not
Je schlechter es uns geht, umso eher verlieren wir unsere Verbundenheit
Der Verlust der Verbundenheit - “Mein Gott, warum hast du mich verlassen?”
Warum verlieren wir unsere Verbindung ausgerechnet in der größten Not?
Eine innere Anwesenheit ist die Basis jeglicher Verbundenheit
Dies ist der dritte Beitrag aus der Reihe über Verbundenheit. Zum Nachlesen:
Teil 1: Auf der Suche nach Verbundenheit
Teil 2: Unsere größte Falle auf der Suche nach Verbundenheit
In der größten Not verbunden
Als meine Mutter unerwartet starb, wurde mein Leben ziemlich auf den Kopf gestellt. Zuerst war ich einfach nur geschockt, dann folgte ein unsagbarer Schmerz und die Trauer begann.
Irgendwie hielten wir alle bis zur Beerdigung durch. Am Tag der Beerdigung – es war der letzte Weg, den ich mit meiner Mutter gemeinsam beschreiten konnte – schien mir meine Trauer kaum aushaltbar zu sein.
Verloren stand ich da und war dennoch umgeben von meiner Familie, eingebettet im Kreis der Verwandten und all jener Menschen, die an diesem Tag Abschied von ihr nahmen.
Viele waren gekommen. Genauso geschockt wie ich, betrauerten auch sie den Tod meiner Mutter. Eigentlich war ich zu sehr in meiner Trauer gefangen, um all die Menschen rund um mich wirklich wahrzunehmen.
Dennoch wurde etwas spürbar, dass ich so nicht erwartet hätte.
Neben dem unsagbaren Verlust spürte ich eine unerwartete Verbundenheit. Ich fühlte mich verbunden, mit all den Menschen, die Abschied von meiner Mutter nahmen.
Die Trauer um ihren Verlust vereinte uns. Meine Trauer und mein Schmerz, unterschied sich nur geringfügig von ihrer Trauer und ihrem Schmerz. Wir alle befanden uns in diesem Moment in einem gemeinsamen Erlebens- und Empfindungsraum und in einem fast absurd erscheinenden Empfinden, war das irgendwie auch schön. Trotz all der Not, fühlte ich mich eingebettet und getragen von all den Menschen, die da waren. Obwohl ich mich mutterseelenallein fühlte, war ich irgendwie auch geborgen.
Warum funktioniert diese Verbundenheit im Moment des größten Schmerzes und warum in anderen Momenten nicht?
So wie ich Situationen kenne, in denen ich mich einfach verbunden fühlte, habe ich auch genügend Situationen erlebt, in denen es mir schlecht ging und ich keine Verbundenheit spürte.
Die dunklen Stunden der Seele
Es gibt Erfahrungen in meinem Leben, die ziemlich schmerzhaft für mich waren. Am schlimmsten waren jene Erfahrungen, in denen ich mich in „meinem Elend“ nicht nur sehr allein und auf mich gestellt, sondern auch verlassen fühlte.
Ich erinnere mich an einige Situationen in meinem Leben, in denen ich mich gottverlassen und mutterseelenallein fühlte und bitterlich weinte. In diesen Momenten schien niemand für mich da zu sein. Ich hatte die Verbindung zu den anderen verloren und spürte auch keine Anbindung an etwas Größeres. Schmerzhaft spürte ich, wie alleine ich gerade war.
Knallhart wurde ich auf mich selbst zurückgeworfen. Das fühlte sich alles andere als gut an. Ich fühlte mich abgeschnitten, getrennt von den anderen, getrennt von Allem.
Jene Erfahrungen, in denen ich verzweifelt in die endlose dunkle Tiefe der Trennung fiel, gehörten wohl zu den dunkelsten Momenten in meinem Leben.
Von Gott und von der Welt verlassen
Früh in meinem Leben gab es eine Phase, in denen sich solche Ereignisse geradezu zu wiederholen schienen. Ausgerechnet in jenen Momenten, in denen es mir wirklich schlecht ging, fühlte ich mich alleingelassen, von Gott und von der Welt verlassen.
Schmerzhaft spürte ich die Auswirkungen des „getrennt seins“ und hatte nicht den Eindruck, ich könnte auch nur das Geringste an dieser Situation verändern.
Oft stellte ich mir dann die Frage: Warum ausgerechnet jetzt? Warum war ich gerade jetzt, wo ich eine Anbindung am dringendsten gebraucht hätte, so auf mich selbst zurückgeworfen? Warum fühlte ich mich ausgerechnet in Zeiten meiner Not von Gott und von der Welt verlassen?
Die „wankelmütige“ Verbundenheit
Ich kenne also die Erfahrung, dass ich
in Momenten von großer Not ein Gefühl von Verbundenheit erleben durfte,
aber ich kenne auch jene dunklen Momente, in denen ich in Zeiten der Not ganz allein geblieben bin.
Da ich ein durchaus neugieriger Mensch bin, bin ich auf die Suche gegangen. Es muss doch eine Erklärung dafür geben, warum ich mich manchmal in der Not verbunden und getragen fühlte und ein anderes Mal wiederum ganz allein blieb und auf mich selbst zurückgeworfen wurde.
Fast schien es mir ein wenig so, als wäre das Gefühl der Verbundenheit ein recht launisches Gefühl. Eines, von dem man ab und an kosten durfte, nur um es anschließend wieder zu verlieren.
Je schlechter es uns geht, umso eher verlieren wir unsere Verbundenheit
Jetzt gibt es ein Phänomen, das vielen vertraut sein wird.
So unglaublich es ist, sich verbunden mit anderen Menschen oder eingebunden in das große Ganze zu fühlen, so erleben wir doch in Zeiten unserer Not oftmals, wie wir diese Verbindung verlieren. Wie wir ausgerechnet in unserer größten Not alleine bleiben.
Die Geschichte von Jesus am Kreuz erzählt sehr eindrücklich von diesem Verlust der Verbundenheit in einer Zeit der größten Not.
Als Jesus ans Kreuz genagelt wurde, verdunkelte sich der Himmel. In den Stunden seiner Dunkelheit fielen die Worte: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Worte, die auf eine vorher vorhandene Verbundenheit hinweisen und von einem kurzfristigen Verlust dieser Verbundenheit erzählen.
Als sein Martyrium dem Ende zuging, erlangte er seine Verbundenheit zurück: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“, berichtet von der wieder erlangten Verbundenheit und seiner Hingabe in den Tod.
Nach Matthäus, verlor sogar Jesus, in seiner dunkelsten Stunde, vorübergehend seine Verbundenheit.
Aber woran liegt das? Lassen uns andere Menschen, lässt uns Gott oder das Universum wirklich bevorzugt in Zeiten unserer großen Not im Stich?
Der Verlust der Verbundenheit – „Mein, mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
In Situationen der Not, erleben wir unser Getrenntsein am schmerzhaftesten. Wenn nicht einmal jetzt, wo es uns so schlecht geht,
jemand bei uns ist,
für uns da ist,
zu uns steht,
hinter uns steht oder
uns durch diese schreckliche Erfahrung begleitet,
vielleicht sogar trägt
– wann denn dann?
Ausgerechnet in der Stunde unserer großen Not erleben wir oft, wie andere Menschen nicht für uns da sind und wir auch keine höhere Verbundenheit spüren. Wir fühlen uns
völlig auf uns allein gestellt,
getrennt von den anderen,
alleingelassen,
mutterseelenallein und
gottverlassen.
Dieses Gefühl der absoluten Getrenntheit wird oft auch als die Tage der Dunkelheit beschrieben.
Warum verlieren wir unsere Verbindung ausgerechnet in den Momenten, in denen wir sie am Dringendsten bräuchten?
Auch wenn es jetzt einfach wäre, die Verantwortung oder die Schuld dafür anderen, dem Göttlichen, höheren Mächten oder dem Universum zuzuschreiben, stimmt das so nicht. Tatsächlich liegt es an unserem Verhalten.
Obwohl wir uns in solchen Situationen sehr nach einer Verbundenheit sehnen, tragen wir dennoch viel dazu bei, dass wir diese nicht erleben.
Das liegt daran, dass wir uns in Momenten der Not oftmals verschließen.
Wir verschließen uns
Wir verschließen uns,
vor dem, was jetzt ist und kommen wird,
vor dieser Erfahrung,
vor den unangenehmen Empfindungen, die damit einhergehen, wie Angst, Schmerz, Trauer oder Wut.
Dieses „nicht fühlen Wollen“ kollidiert aber mit unserem Bedürfnis, in „den schlimmsten Momenten unseres Lebens“ nicht allein sein zu wollen.
Sie ahnen sicher bereits, dass es so nicht funktionieren kann. Wir können uns nicht vor unserem Spüren verschließen und anschließend hoffen, dass wir eine Verbundenheit spüren.
Wie sollten wir eine Verbundenheit spüren,
wenn wir selbst die Verbindung zu unserem Spüren durchtrennen?
Die verloren gegangene Verbundenheit
Um eine Verbundenheit zu spüren, braucht es eine Offenheit. Eine Offenheit für
die jeweilige Erfahrung,
die damit einhergehenden Empfindungen,
unsere Mitmenschen, wie
den höheren Ebenen.
Genau hier stoßen wir aber in der Not oftmals an unsere Grenzen.
Wir wollen diese Erfahrung nicht machen und machen zu. Wir verschließen uns und verriegeln unseren Zugang zu unserer Empfindsamkeit. Damit
kappen wir nicht nur die Verbindung nach innen, zu unseren Gefühlen, die mit dieser Erfahrung einhergehen, sondern auch
die Verbindung nach außen oder nach oben.
Jetzt wäre es an und für sich noch kein Problem, wenn wir diesen Zugang verschließen. Wir würden einfach weniger spüren.
Schwierig wird es nur, wenn wir in diesen Momenten hoffen, diese Erfahrung nicht alleine machen zu müssen.
Die nicht gespürte Verbundenheit
Tatsächlich könnte in den schwierigen Momenten unseres Lebens durchaus eine Verbindung oder Verbundenheit existieren.
Doch um diese zu spüren, müssen wir offen sein. Haben wir die Verbindung zu unserem Spüren gerade durchtrennt, werden wir auch keine Verbundenheit erleben.
Der gemeinsame Empfindungsraum
So wie wir uns mit anderen Menschen in einem Raum befinden können, existiert auch ein gemeinsamer Empfindungs- und Spürraum. Hier finden wir die Resonanz, die Empathie und das Mitgefühl.
Manchmal stolpern wir ohne unser Zutun in den gemeinsamen Empfindungsraum. Dann erleben wir, wie wir in Verbindung stehen und miteinander schwingen.
In der tiefen Trauer um meine Mutter stellte sich die Frage gar nicht mehr, ob ich mich spüren wollte oder nicht. Der Schmerz katapultierte mich förmlich ins Empfinden des gegenwärtigen Moments, weshalb es möglich war, diese Verbundenheit und dieses „Gefühl des getragen werdens“ zu erleben. Hätte ich meine Trauer zurückgehalten und mich vor dem Schmerz verschlossen, hätte ich diese Erfahrung nicht gemacht.
Die Trennung, die ich selbst erschuf
In anderen Momenten hingegen, war der Schmerz geringer und weniger überwältigend. So besaß ich noch die Kraft, die schmerzhaften Empfindungen abzuwehren. Ich wollte diese Erfahrung nicht machen, wollte diesen Schmerz nicht spüren und verschloss meine Wahrnehmung.
Eine kurzfristige Erleichterung trat ein, für die ich einen hohen Preis bezahlte. Der anfängliche Schmerz mochte geringer ausfallen, stattdessen fühlte ich nun aber wie abgeschnitten ich war. Ich fühlte mich getrennt von allem.
Eine innere Anwesenheit ist die Basis jeglicher Verbundenheit
Verbundenheit beschreibt ein gegenwärtiges Empfinden. Auch wenn wir eine Verbundenheit erreicht haben, werden wir sie wahrscheinlich wieder verlieren. Denn wir fallen aus dieser Gegenwärtigkeit wieder heraus.
Um eine Verbundenheit zu empfinden, müssen wir im gegenwärtigen Moment sein. Es bedarf also einer inneren Anwesenheit, einer Präsenz.
Wir müssen sozusagen „in dem, was gerade ist“ sein. Und wie wir alle wissen, ist das nicht unbedingt einfach. Vor allem nicht, wenn wir „das, was gerade ist“ gar nicht wollen, wenn es sehr unangenehm und schmerzhaft für uns ist.
Nur wenn wir mit uns selbst in Verbindung stehen,
können wir auch in Verbindung treten.
Erst dann wird eine Verbundenheit spürbar.
Die innere Verbindung stärken
In Zeiten unserer Not zeigt sich am deutlichsten, wie offen wir für die gegenwärtige Erfahrung, wie das damit einhergehende Spüren, sind.
Nicht unsere Vorstellungskraft, sondern unsere Offenheit und Präsenz bestimmt, ob wir in diesem Moment eine Verbundenheit erleben dürfen.
Gerade wenn es uns nicht gut geht, ist der beste Weg, den wir wählen können, dass wir unsere Verbindung zu uns selbst stärken, dass wir für uns selbst da sind und uns gut um uns kümmern. Denn das ist es, was wir auf unserem Weg brauchen werden.
„Wenn wir uns weiterentwickeln, stehen wir nicht über den Dingen, wir stumpfen nicht ab und wir spüren uns auch nicht weniger. Das Gegenteil passiert: Wir werden empfindsamer und spüren immer mehr. ….“ Aus dem Buch des bewusst seins, Seite 246
Es geht nicht darum, eine äußere oder höhere Verbundenheit zu suchen, sondern um die Verbindung mit uns selbst.
Denn in unserem innersten Sein hat diese Trennung nie Einzug gehalten.
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