Der Schmerz des „getrennt seins“
Wenn uns der Schmerz des getrennt seins bewusst wird, beginnt unsere Suche nach Verbundenheit. Wir suchen eine Wiederanbindung.
Diese Suche ist nicht leicht, denn wir stehen vor einem Problem. Wir suchen zwar nach Verbundenheit, wissen aber nicht, wie wir diese erreichen können.
Die weltliche Suche nach Verbundenheit
Das Streben nach Verbundenheit tragen wir von Anfang an in uns. Es kommt nur darauf an, wann, wo und wie wir nach dieser ursprünglichen Verbundenheit suchen.
Unsere erste Suchbewegung richtet sich üblicherweise nach außen, in die Welt. Dort suchen wir nach einer sicheren Bindung. Siehe dazu auch den ersten Beitrag dieser Reihe: Auf der Suche nach Verbundenheit
Im weiteren Verlauf unserer Entwicklung wird uns eine reine Bindung nicht mehr genügen und so suchen wir nach einer tiefer gehenden Verbindung.
Manchmal scheitern wir dabei und schaffen es nicht, eine tiefer gehende Beziehung zu einem anderen einzugehen.
Aber auch wenn es uns gelingt eine Verbundenheit mit einem Menschen zu erleben, können wir diese nicht aufrechterhalten. Das Gefühl der Verbundenheit verblasst auch wieder.
Auf Dauer erweist sich unsere weltliche Suche als nicht befriedigend, was dazu führt, dass wir uns abermals auf die Suche begeben.
Jetzt richtet sich unsere Suche aber nicht mehr nach außen und auf andere Menschen, sondern meist nach oben. Wir suchen nach einer Verbundenheit zu etwas, das über uns steht, zu etwas Größerem und Göttlichen.
Die mentale Suche nach Verbundenheit
Fühlen wir uns getrennt und isoliert von anderen, von uns selbst oder ohne eine höhere Anbindung, wird dies als schmerzhaft erlebt. In solchen Momenten spüren wir den Schmerz des getrennt seins.
Es tut weh und weil wir dies als Problem definieren, suchen wir nach einer Lösung.
Unsere anfängliche Suche wird vom Verstand dominiert. Der Verstand hat etwas zu einem Problem erkoren und jetzt sucht auch der Verstand nach einer Lösung dieses Problems
Unsere anfängliche Suche nach Verbundenheit läuft somit üblicherweise über den Verstand.
Ein kleines Experiment
Lassen Sie mich nun versuchen, Ihnen ein wenig näher zu bringen, was ich damit ausdrücken will.
Vielleicht lassen Sie sich auf ein kleines Selbstexperiment ein und versuchen einmal Folgendes:
„Stellen Sie sich vor, wie Sie bequem im Garten oder in einer Wiese sitzen. Es ist angenehm still. Die Sonne scheint auf ihre Haut. Im Hintergrund zwitschern ein paar Vögel. Sie atmen tief und entspannt ein und riechen den Duft der ersten Frühlingsboten. Sie spüren, wie die Sonne angenehm sanft auf Ihre Haut strahlt. Eine warme und wohlige Wärme breitet sich in Ihnen aus. Sie sind entspannt, fühlen sich wohl und geborgen…“
Schließen Sie nun bitte kurz Ihre Augen und lassen sie diese sonnige Vorstellung auf sich wirken.
Die gefühlte Wärme
Ist es Ihnen gelungen, sich auf dieses kleine Experiment einzulassen? Konnten Sie etwas hören, riechen, vor ihrem inneren Auge sehen oder fühlen? Konnten Sie die wärmende Sonne ein wenig spüren?
Dieses kleine Experiment zeigt Ihnen auf, ob und wie sehr Sie in der Lage sind, mental – also über ihre Vorstellungskraft – eine Verbindung zu ihren körperlichen und emotionalen Empfindungen herzustellen.
Und hier sind wir bereits bei der größten Schwachstelle unserer mentalen Suche gelandet.
Die Macht der Imagination
Unser Verstand hat ein gewisses Schöpfungspotential und damit auch eine gewisse Macht. Wir sind in der Lage uns alles Mögliche vorzustellen.
Die Macht der Imagination besteht nun darin,
dass wir etwas erleben und spüren können.
ohne dass es einen realen Bezug hat oder tatsächlich geschieht.
Dann können wir die Wärme einer Sonne spüren, die gar nicht auf uns scheint.
So wie wir eine nicht vorhandene Wärme spüren können, sind wir auch in der Lage alles Mögliche zu spüren, wie beispielsweise eine Verbundenheit, eine allumfassende Liebe und so weiter.
Über unsere Vorstellungswelt sind wir in der Lage eine Erfahrung zu kreieren, die von der Wirklichkeit abweicht. Dabei besteht allerdings das Risiko, dass wir die Wirklichkeit mit dem Empfinden verwechseln.
Und das ist leider ganz leicht, denn wir
stellen uns nicht nur etwas vor,
wir reagieren auch emotional
und körperlich darauf.
Unsere Vorstellung verändert unser inneres Erleben. Mehr darüber aber in einem späteren Beitrag über Vorstellungen.
Die „Vorstellungswelt“
Mentale Vorstellungen verführen uns dazu zu glauben, dass sie echt sind.
Wenn ich mir beispielsweise denke und somit auch in einem gewissen Maße vorstelle, dass es mein Partner gerade nicht gut mit mir meint, so glaube ich – zumindest in dem Moment – auch, dass es so ist. In diesem Moment wird mein Mann zu meinem “Feind”. Und zwar unabhängig davon, was er tatsächlich macht.
Das liegt daran, dass wir eine Sache verwechseln. Wir gehen davon aus, wenn ich etwas spüren kann, ist dies ein Hinweis auf die Echtheit oder Wahrheit dieses Erlebens!
Aber es existiert ein Unterschied. Das was ich fühle und empfinde
kann eine wirkliche Verankerung haben,
es kann sich aber auch nur in meinem Kopf abspielen.
Es bedarf also der Fähigkeit eine Unterscheidung treffen zu können, eine Unterscheidung zwischen dem „Wirklichen“ und dem „Unwirklichen“.
Im Sanskrit, in der indischen Philosophie, gibt es eine Bezeichnung für dieses Phänomen. Hier wird alles „Unwirkliche“ als „Maya“, als eine Illusion, bezeichnet.
Die Vorstellungswelt unseres Verstandes beschreibt eine Form dieser Illusion.
Alles „Maya“?
Wir können uns alles Mögliche vorstellen. Wir fühlen die wärmende Sonne oder stellen uns vor, wie wir im Lotto gewinnen.
Betrifft die Illusion konkrete Bereiche, ist sie relativ leicht zu durchschauen. Denn die Wirklichkeit offenbart sich im Konkreten sehr deutlich. Ich kann leicht erkennen, ob die Sonne auf mich scheint oder nicht, ob ich Millionen auf meinem Konto habe oder nicht?
In weniger konkreten Gefilden, wie bei Eindrücken, Gefühlen oder Empfindungen wird es allerdings gleich um einiges schwieriger, die Wirklichkeit noch zu erkennen.
Wir stolpern über unsere Vorstellungskraft
Gerade in jenen Bereichen, die nicht konkret und greifbar sind, stolpern wir schnell einmal über unsere Vorstellungskraft.
Ich kann es fühlen und weil ich es spüren kann, scheint es einer inneren Wahrheit oder der Wirklichkeit zu entsprechen. So fühle ich beispielsweise:
eine nahe Verbindung zu einer berühmten Persönlichkeit. Doch in Wirklichkeit hat diese Person noch nie von mir gehört, weiß gar nicht, dass es mich gibt, dass wir uns nahe sind und eine Verbindung zwischen uns existiert.
eine Liebe und Verbundenheit zu allen Menschen. Aber in Wirklichkeit schaffe ich es nicht einmal eine liebevolle Verbindung zu meiner Mutter oder zu meinem unleidlichen Nachbarn aufzubauen oder zu halten.
Siehe dazu auch den Beitrag: Wenn das innere Gefühl der äußeren Realität widerspricht
Wir verwechseln Gefühl mit Wirklichkeit
Aber was hat all dies mit unserer Suche nach Verbundenheit zu tun?
Wenn wir eine Verbundenheit oder andere höhere Zustände mental suchen, und das ist genau das, was wir anfangs machen, dann werden wir den Weg über den Verstand beschreiten. Wir stellen uns vor, wie so eine Verbundenheit sein könnte, wie sie sich anfühlen könnte oder wie wir sie erlangen könnten.
Dann stellen wir uns beispielsweise vor,
wie wir unser Herz öffnen,
wie wir uns tief in der Erde verwurzeln und anschließend ganz nach oben strecken und mit dem Himmel verbinden,
wie wir mit allem verbunden sind,
wie wir eins mit allen Menschen, eins mit dem Universum sind
wie wir von göttlicher Liebe umgeben und getragen werden und so weiter.
Es spricht nichts gegen solche Vorstellungen. Sie können durchaus ein angenehmes Empfinden in uns auslösen und eine Wohltat für uns sein.
Aber dennoch sollten wir nicht vergessen, dass wir einen künstlichen Zustand kreiert haben.
Echte Erfahrungen sind ein wenig anders, sie kommen eher unerwartet, sind zutiefst berührend, fast ein wenig überwältigend und wir verspüren eine Dankbarkeit, dass uns dieses Erleben zuteil wurde. Dann
spüren wir, wie unser Herz einfach aufgeht und voller Liebe überfließt,
erleben wir ein “getragen sein” in einem Moment, in dem wir es nicht erwartet hätten,
dürfen wir uns für einen kurzen Moment eins mit einem Menschen erleben,
verlieren wir uns im Anblick eines Naturschauspiels, eines Sonnenuntergangs oder Wasserfalls, oder
hebt sich für einen Augenblick die Trennung auf und wir fühlen uns verbunden, eins, aufgehoben und sicher in allem, was da ist.
Dann haben wir eine Erfahrung erlebt, ohne dass wir etwas dazugetan hätten, und somit ohne dass ein „Verstandes-Ich“ mitgemischt hätte.
Verbundenheit kann nie mental sein!
„… Die Vorstellung ist eine Ersatzfunktion des Verstandes. Immer wenn uns eine Erfahrung fehlt, wird sie durch eine „Vorstellung über“ ersetzt. Die Vorstellung ist also ein Ersatz für die „gelebte Wirklichkeit. … Die reale Erfahrung kann die Vorstellung auflösen. Dann brauchen wir kein Bild und keine Vorstellung mehr darüber, wir wissen jetzt, wie es ist. ….“ Aus dem Buch des bewusst seins Seite 107
Unser Verstand ist ein unsagbares Meisterwerk und stellt uns vor die größten Herausforderungen in unserem Leben.
In meiner Fantasie, in meiner Vorstellung, kann ich alles Mögliche erfahren und empfinden.
Spüre ich hier eine Verbundenheit, bin ich nicht mit jemanden oder mit etwas Größerem und Ganzen verbunden, sondern habe mein Spüren lediglich mit einer mentalen Vorstellung verknüpft.
Über unsere Vorstellungskraft sind wir zwar in der Lage eine Verbundenheit zu fühlen, aber es ist kein Ausdruck eines wirklichen „verbunden seins“.
Eine wahre Verbundenheit kann nicht über eine Verstandesvorstellung entstehen. Denn die Kombination von mental und Verbundenheit ist ein Widerspruch in sich.
Der Verstand ist die Repräsentanz der inneren Trennung
Der Verstand ist die Repräsentanz unserer psychischen Trennung, daher ist es unmöglich eine wahre Verbundenheit zu erlangen, wenn wir den Weg über den Verstand wählen.
Aber wir stehen vor zwei großen Herausforderungen:
Unsere erste Suche wird über den Verstand laufen
Anfangs werden wir eine „Lösung“ über den Verstand suchen. So lange, bis wir erkennen, dass diese Form der Suche
zwar bei konkreten Problemen zur erhofften Lösung führt, wie das Auto geht nicht, wir haben keinen Job, der Wasserhahn tropft,
aber auf anderen Ebenen nur sehr bedingt erfolgreich sein wird.
Aber genau dieses notwendige Erkennen führt uns zur zweiten Schwierigkeit. Es ist schwierig, für uns zu erkennen, dass wir diese Lösung nicht über den Verstand finden werden.
Wir sind in der Lage gewisse Empfindungen, wie Liebe, Verbundenheit, Einheit künstlich zu erzeugen, indem wir sie uns vorstellen.
Das macht es wirklich schwer für uns. Wir können uns nämlich „alles“ vorstellen und sind verführt unseren „gefühlten Vorstellungen“ zu glauben. Dann glauben wir, wir hätten unser Ziel erreicht und suchen nicht mehr weiter.
Die Wirklichkeit kann nicht erdacht werden
„Weder der Verstand noch ein Gedanke kann im gegenwärtigen Augenblick sein. Der Verstand ist Ausdruck der Vergangenheit. Er kann sich nur auf die Vergangenheit beziehen oder sich Vorstellungen über die Zukunft machen. In diesen Dimensionen bewegt sich das Denken. Aber nie im gegenwärtigen Moment und damit nie in der Wirklichkeit. Im Moment ist kein Platz zum Denken. Wir können das Leben nicht erdenken, wir können es nur erfahren. Die Wirklichkeit kann nur erfahren werden.“ Aus dem Buch des bewusst seins, Seite 130
Eine wirkliche Verbundenheit kann nicht erdacht, sondern nur erfahren werden.
Doch woran könnten wir erkennen, dass wir uns auf mentalen Abwegen befinden?
Im Grunde hilft uns die Realität. Achten Sie auf Ihre Beziehungen. Darauf wie andere Menschen Ihnen begegnen und wie offen Sie, vor allem “schwierigen”, Menschen gegenüber sind, oder wie verbunden und voller Liebe Sie sind, wenn Ihr Leben gerade echt beschissen verläuft. In solchen Momenten holt uns die Realität nämlich ziemlich ein und wir können erkennen, wo wir - nicht in unseren Vorstellungen - sondern wirklich stehen.
Für ein besseres Verständnis ist dieser Beitrag jetzt leider ein wenig ausführlicher geworden, so dass es eine weitere Fortsetzung zum Thema Verbundenheit geben wird.
Der nächste Beitrag über Verbundenheit - “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” handelt unter anderem davon, warum wir das Gefühl von Verbundenheit, vor allem in jenen Momenten, in denen wir es am dringendsten brauchen würden, verlieren?
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