Wenn das innere Gefühl der äußeren Realität widerspricht
Die „konkrete“ und die „gefühlte“ Realität
Wenn die gefühlte Realität von der äußeren Realität abweicht
Liegt die Ursache für unser Empfinden im Äußeren oder im Inneren?
Nicht immer stimmt das, was wir im außen wahrnehmen, mit dem, was wir innerlich wahrnehmen, überein
Manchmal erleben wir, dass unsere äußere Realität von unserer inneren Realität abweicht. Denn nicht immer stimmt das, was wir im außen wahrnehmen, mit dem, was wir innerlich wahrnehmen überein. Dann machen wir Erfahrungen, wie:
Ich fühle mich einsam, obwohl ich gerade unter Menschen weile!
Ich bin unglücklich, obwohl alles in meinem Leben passt!
Ich bin traurig, obwohl es keinen Grund dafür gibt!
Ich bin beunruhigt, obwohl alles um mich herum ganz normal wirkt!
Ich traue dieser Person nicht, auch wenn sie nett und freundlich mit mir ist!
Die äußere und die innere Wahrnehmung
Unsere Wahrnehmung ist hoch komplex und kann sich gleichermaßen nach außen, wie nach innen wenden. Und hier wird es bereits ein wenig kompliziert über die Wahrnehmung zu schreiben. Denn viele Menschen richten ihre Wahrnehmung
mehr nach außen, als nach innen,
mehr auf andere, als auf sich selbst.
Jemand, der seine Wahrnehmung nach außen richtet, wird
sich unter anderen Menschen selten einsam fühlen,
sich gar nicht fragen ob er glücklich, unglücklich oder traurig ist, wenn alles in seinem Leben passt,
möglicherweise gar nicht wahrnehmen, dass ihn etwas beunruhigt oder er einer Person misstraut.
Vielleicht würde diese Person gleich empfinden. Richtet sich ihre Aufmerksamkeit jedoch nicht auf ihr inneres Erleben, bekommt sie dies möglicherweise gar nicht mit.
Sich unter anderen Menschen einsam fühlen zu können bedeutet entweder:
Wir bekommen sehr viel von unserem Innenleben mit,
unser inneres Erleben ist so stark, dass es vom äußeren Erleben nicht überschattet wird oder
Einsamkeit ist ein Thema für uns, auf das wir immer wieder stoßen.
Der letzte Punkt macht die Geschichte über die innere und über die äußere Realität ein wenig kompliziert.
Wenn die gefühlte Realität von der äußeren Realität abweicht
Weicht unsere „gefühlte“ Realität von der „konkreten“ Realität ab, haben wir einen Konflikt.
Was stimmt denn nun, die „gefühlte“ Realität oder die „konkrete“ Realität? Warum fühle ich mich einsam, wenn ich unter Leuten bin oder warum fühle ich mich traurig oder bin unglücklich, wenn doch alles passt?
Richtet sich unsere Orientierung primär nach außen, werden wir unser Gefühlserleben in Frage stellen. Es gibt keinen Grund sich so zu fühlen, also ist mit unserem Gefühl wohl etwas nicht in Ordnung!
Vertrauen wir unserem inneren Erleben, stellen wir unsere Empfindungen zwar nicht so schnell in Frage, doch die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass wir unter diesen Empfindungen leiden. Dann leiden wir darunter, dass wir uns so einsam, unglücklich oder traurig fühlen.
Die „gefühlte“ Realität – zwischen Bereicherung und innerem Wiederholungszwang
Während unsere Mitmenschen üblicherweise die „konkrete“ Realität gleich wahrnehmen
alle nehmen wahr, dass sie sich gerade in einer Gruppe befinden,
kann die „gefühlte“ Realität sehr von der „konkreten“ Realität abweichen
nur Einzelne fühlen sich einsam dabei.
Die „gefühlte innere“ Realität fügt eine Empfindungsspur hinzu. Damit geht es nicht mehr nur darum, was im außen ist – wir befinden uns in einer Gruppe – sondern auch darum, was in unserem Inneren vor sich geht – „Ich fühle mich einsam!“
Das innere Empfinden kann
etwas über die jeweilige Situation aussagen,
es kann aber auch
nur mit mir selbst zu tun haben.
Oft ist es gar nicht so leicht, diese Unterscheidung zu treffen!
Liegt die Ursache für unser Empfinden im Äußeren oder im Inneren?
Eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Denn um diese Frage zu beantworten, müssen wir genauer hinsehen und bereits einiges über uns selbst wissen.
Obwohl ich unter Menschen weile, fühle ich mich einsam!
Jetzt können wir uns durchaus unter anderen Menschen einsam fühlen. Denn Einsamkeit hat nicht nur mit den sozialen Gegebenheiten zu tun, sondern ist auch ein Gefühl. In diesem Sinne sagt uns das Gefühl der Einsamkeit auch etwas darüber aus, ob wir in Kontakt mit jemanden sind, oder nicht. So können wir zwar von Menschen umgeben sein, wir stehen aber innerlich nicht in Kontakt mit ihnen. Dann können wir uns auch neben dem Partner oder unter Menschen einsam fühlen.
Aber nicht immer liegt die Ursache im Außen. Fühle ich mich nämlich gerade einsam, wird es mir schwerfallen, in Kontakt mit den anderen zu kommen. In diesem Fall hat das Gefühl der Einsamkeit mehr mit mir zu tun, als mit den anderen oder mit der jeweiligen Situation. Dann komme ich gerade nicht aus meinem „Schneckenhaus“ oder besser gesagt aus meinem Gefühlszustand heraus. Ich komme nicht in Kontakt mit den Anderen.
Obwohl jemand nett und freundlich mit mir ist, traue ich dieser Person nicht!
Dieses Empfinden kann durchaus ein wertvoller Hinweis für uns sein. Es kann mir nämlich mitteilen, dass etwas mit „dieser Person“ nicht stimmt. Über mein Spüren kann ich Informationen aufnehmen, die mir über den Verstand nicht zugänglich wären. Vielleicht ist diese Person im Grunde gar nicht nett, zeigt mir nur eine nette Fassade oder versucht gar mich mit ihrer netten Art zu etwas zu bewegen, was ich nicht will und mich zu manipulieren?
Es könnte aber ebenfalls sein, dass die andere Person einfach nur nett mit mir ist und ich über meine früheren Erfahrungen oder über meine Vorurteile stolpere, wie „Niemand meint es gut mit dir“, oder „Traue keinem, der nett mit dir ist, keinem, der…“
Die Wahrheit hinter der „gefühlten“ Realität
Jetzt kann meine „gefühlte“ Realität zwar von der äußeren und „konkreten“ Realität abweichen, dennoch ist sie aber stets auch als „wahr“ zu betrachten.
Unsere “gefühlte” Realität erzählt uns, wie wir die äußere Situation gerade erleben. Und so betrachtet ist es wichtig, dass wir unsere Gefühle in einem gewissen Maße auch ernst nehmen.
Dabei müssen wir uns allerdings bewusst sein, dass sich unsere Gefühle gleichermaßen nach außen wie nach innen wenden können.
So können mir meine Empfindungen Informationen über meine äußere Realität geben, wie beispielsweise, dass es die nette Person gar nicht nett mit mir meint.
Mein Gefühl kann mir aber auch Informationen aus meiner Innenwelt übermitteln, wie beispielsweise, dass ich erlebt habe, dass mir meine Großmutter stets mit lächelndem Gesicht die schlimmsten Gemeinheiten um die Ohren geworfen hat! Oder dass ich erlebt habe, dass Menschen nur nett mit mir waren, wenn sie etwas von mir wollten und nie jemand uneigennützig nett mit mir war.
In beiden Fällen wird mein Gefühl anschlagen, wenn jemand nett mit mir ist. Dann bin ich gefordert zu unterscheiden, ob
mein Gefühl auf das Außen, auf den anderen und auf die aktuelle äußere Situation reagiert, oder
ob mein Gefühl auf mein Inneres, auf meine aktuelle innere Situation, auf vergangene Situationen und somit auf meine Geschichte reagiert.
Mein Gefühl stimmt, auch wenn es unterschiedliche Dinge ausdrückt!
Die Schwierigkeit für uns liegt darin, dass es sich gleich anfühlen wird. Egal ob sich das Gefühl auf den anderen und auf die Situation bezieht oder unser Innenleben beschreibt und zu unserer Vergangenheit gehört.
Selbsterkenntnis ist hilfreich
Weicht unsere „gefühlte“ Realität von der „konkreten“ Realität ab, ist es günstig:
Wenn wir erkennen, dass gerade widersprüchliche Informationen in uns vorherrschen.
Solange wir nicht erkennen, dass wir gerade eine Diskrepanz zwischen innen und außen erleben, wird es schwierig damit umzugehen.
Wenn wir überprüfen, ob unsere Wahrnehmung nicht vielleicht ein wenig mehr mit uns und mit unserer Geschichte zu tun hat, als mit den äußeren Gegebenheiten.
Das bedeutet aber auch, dass ein gewisses Maß an Selbsterkenntnis unerlässlich für uns ist. Das Problem dabei, unsere Psyche liebt Wiederholungen und so wiederholen wir unsere Muster. Zumindest solange, bis wir anfangen unseren Blickwinkel zu ändern. Siehe dazu meinen Beitrag: Wenn das Bewusstsein auf die Psyche trifft.
Ohne ein gewisses Maß an Selbsterkenntnis, wird es schwierig für uns. Denn dann besteht die Gefahr, dass wir die Schatten unserer Vergangenheit in der aktuellen Situation wiederfinden, ohne diese als „eigene Schatten“ zu erkennen.
Vor allem in nahen Beziehungen weicht unsere “gefühlte” Realität des öfteren von der “konkreten” Realität ab und wir fallen über unsere alten Geschichten. Doch mehr dazu in einem weiteren Beitrag.
Je vertrauter eine Erfahrung für uns ist, umso schwieriger wird es, diese als etwas Eigenes zu erkennen
Hat es nur mit uns zu tun, hat es mit unserer Geschichte zu tun. So wie wir die Welt erlebt haben, so nehmen wir sie auch wahr. Haben wir beispielsweise gelernt, dass es andere nicht gut mit uns meinen, kann auch ein nahestehender Mensch rasch zu einem „gefühlten Feind“ für uns werden.
Unsere Geschichte drückt sich nicht nur in unseren Gefühlen, sondern auch in unserem Denken aus. Somit gilt:
Je vertrauter ein Gedankengang
oder ein Gefühl für uns ist,
umso achtsamer müssen wir sein!
Dennoch ist es wichtig, dass unsere „gefühlte Realität“ nicht ausschließlich auf der eigenen Geschichte beruht.
Denn auch die Intuition vermittelt ihre Botschaften über unser Gefühlserleben. Die Intuition entspringt nicht unserer Geschichte, sondern gleicht einer erweiterten Wahrnehmung. In der Intuition reagieren wir auf vorhandene Informationen, die unser Verstand nicht oder noch nicht erfassen kann.
Muss ich mich für eine „Realität“ entscheiden?
Häufig passt unsere „konkrete“ Realität zur „gefühlten“ Realität. In solchen Momenten ist alles klar und wir haben keinen Konflikt.
Doch wenn die „gefühlte“ Realität von der „konkreten“ Realität abweicht, wird es schwierig. Denn dann haben wir zwei Realitäten, die einander widersprechen.
Weil wir Widersprüche üblicherweise nicht gut aushalten, denken wir, wir müssten uns für eine Realität entscheiden.
Dann kann es sein, dass wir
unsere „gefühlte“ Realität wegdrücken und unsere inneren Signale ignorieren, während wir nur noch an der „konkreten“ Realität haften, oder
die „konkrete“ Realität unterdrücken und nur noch auf unsere „gefühlte“ Realität hören.
Folgen wir dieser Spur, wird es schwierig, weil wir einen wichtigen Teil unseres Informationsfeldes aufgeben.
Denn beide „Realitäten“ bestehen und es ist wichtig den Widerspruch in diesen Realitäten auch zu erkennen.
Dafür ist es günstig, wenn wir aus der Haltung von
„entweder – oder“ aussteigen
und in eine Haltung von
„sowohl als auch“ gehen.
Auf der „konkreten“ Ebene ist es gerade so,
während die „gefühlte“ Realität eine andere ist
und beides darf sein.
Denn aus beiden Welten beziehen wir Informationen, die nützlich für uns sein können.
Daher ist es günstig, wenn wir lernen, Widersprüche stehen zu lassen. Ist etwas widersprüchlich, ist dies eine durchaus wichtige Information für uns. Ein Wissen, welches uns darüber informiert, dass das Äußere gerade nicht mit dem Innen übereinstimmt – Warum auch immer?
Es gibt keine absolute Wahrheit
In der Wahrnehmung gibt es keine „absolute Wahrheit“, kein richtig oder falsch. Ich kann etwas so wahrnehmen und jemand anderer kann es ganz anders wahrnehmen. Und dennoch hat jede Wahrnehmung ihre Berechtigung!
Vor allem in unseren Beziehungen neigen wir ansonsten nämlich dazu darum zu kämpfen, wer denn nun mit seiner Sichtweise recht hat. Siehe dazu einen älteren Beitrag von mir: “Ich habe recht!”
Im Leben existieren verschiedene Sichtweisen und jede Sichtweise sagt etwas aus:
Manchmal sagt meine Wahrnehmung etwas über die Welt aus,
ein anderes Mal über andere,
dann wiederum über mich selbst.
Vielleicht gelingt es uns ja ein wenig offener für die unterschiedlichen Formen der Wahrnehmung zu werden, bei uns selbst und auch beim Anderen.
Dieser Beitrag wurde auch im Alpenfeulleton veröffentlicht.
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Danke für den Beitrag, der für den einen oder anderen sicher schwer zu verstehen ist.
Der Beitrag veranschaulicht - in Teilen - sehr gut den - zum Teil - diametralen Unterschied zwischen Psychotherapie und Verhaltenstherapie.
Speziell der Absatz "Muss ich mich für eine „Realität“ entscheiden?" verdeutlicht dies.
Die Empfehlung vom "entweder - oder" ins "sowohl als auch" zu gehen ist gefährlich, bei unglücklicher Disposition kann sie im schlimmsten Fall in der Schizophrenie enden.
Menschen, die mit sich eins sind, können und müssen sich auf ihre gefühlte Realität verlassen. Wer dies (noch) nicht kann, kann dorthin mit FEEL begleitet werden oder sich selbst dorthin begleiten.
Wir sind hier genau an dem Punkt, warum ich mich vor 40 Jahren gegen die Psychotherapie und für die Verhaltenstherapie entschieden habe.
Dieser Beitrag kann dies wunderbar klar machen.
Zur Erklärung: Ich verfüge als Psychologe mit diversen Zusatzausbildungen über eine ähnlich Basis wie die Autorin und bin überzeugt und weiss, dass eine grosse Zahl "psychischer Probleme" durch konkrete Verhaltensänderungen schneller und sicherer als durch psychotherapeutische Interventionen adressiert werden kann.
Ich bitte dies nicht als Kritik an diesem hervorragenden Substack zu verstehen.