Dieses Mal möchte ich mich einem schwierigen und schmerzhaften Thema zuwenden. Es geht um die Verknüpfung von Nähe und Schmerz, die sich später auch in den Beziehungen und in der Liebe zeigt. Eine Verknüpfung, die sich aufbaut, wenn schwerwiegende Verletzungen in den frühkindlichen Beziehungen erlebt werden.
Gravierende Verletzungen in nahen Beziehungen
Hier reden wir nicht von kleineren familiären Unachtsamkeiten oder Verletzungen, sondern von sich wiederholenden schweren Verletzungen, die nicht aufgelöst wurden und somit auch nicht heilen können.
Traumatische Erfahrungen, wie Vernachlässigung, emotionaler, körperlicher oder sexueller Missbrauch, gehören zu den einschneidenden psychischen Verletzungen, die massive Spuren hinterlassen.
Frühe Verletzungen und traumatische Erfahrungen haben starke Auswirkungen auf die weitere Entwicklung. Entstammt der Verursacher der Verletzung – der Täter – dann auch noch der Gruppe der nahen Personen, sind die Auswirkungen noch schwerwiegender. Denn dann kommt der Täter aus jenem Kreis, der das Kind eigentlich schützen sollte, der Sicherheit, Geborgenheit, Halt und Trost vermitteln sollte. In diesem Fall sind die Auswirkungen um einiges katastrophaler, denn dann fehlt nicht nur der Schutz, sondern auch die Unterstützung nach der traumatischen Erfahrung. Somit kommt noch eine starke Verwundung auf der Beziehungsebene hinzu.
Erleben wir uns hingegen eingebettet in einer wohlwollenden und schützenden Familienatmosphäre, entwickeln wir ein Urvertrauen. Ein Vertrauen in uns selbst, wie ein Vertrauen in unsere Mitmenschen, was spätere Beziehungen erleichtert.
Finden jedoch schwere Verletzungen oder Traumatisierungen im nahen, zum Teil sogar familiären Umfeld statt, werden nahe Beziehungen nicht als sicheren Hafen erlebt. Dann sind nahe Beziehungen die Quelle dieses Schmerzes. Mit solchen Erfahrungen wird es später schwer, sich selbst aber vor allem anderen Menschen noch zu vertrauen.
Die innere Verknüpfung von Nähe und Schmerz
Schwer verletzte und traumatisierte Personen mussten schreckliche Erfahrungen machen. Erfahrungen formen uns, sie schaffen ein persönliches Erfahrungswissen darüber, wie wir oder wie andere Personen sind.
Erleben wir, dass Gegebenheiten zusammen auftreten – wie in meinen nahen Beziehungen passieren Verletzungen – verbinden wir diese beiden Themen miteinander. In diesem Fall wird beispielsweise Nähe mit Schmerz verknüpft. Haben wir eine solche Verknüpfung aufgebaut, löst sich dieses Geschehen von der Kindheit und wird generalisiert. Nun gehen wir davon aus, dass Nähe und Schmerz zusammengehören. Mit dieser Verknüpfung erwarten wir auch in Zukunft, dass Nähe und Schmerz zusammengehören und auch weiterhin gemeinsam auftreten werden.
Eine weiter Verknüpfung, die traumatisierte Menschen häufig in sich tragen ist: “Wenn es mir schlecht geht ist keiner für mich da!”. Auch dieses Glaubensmuster, welches ich in einem früheren Beitrag beschrieben habe, beeinflusst unser Beziehungsverhalten.
Früh gelernte Beziehungsverallgemeinerungen drängen spätere Partner in eine ziemlich unangenehme Rolle.
Leider sind uns unsere inneren Verknüpfungen, wie die daraus resultierenden Glaubensmuster, nicht unbedingt zugänglich. Um diesen Mustern ein wenig näher zu kommen, ein kleiner Auszug von solchen Verknüpfungen. Glauben wir, dass:
diese Welt ein sicherer Ort ist oder ist sie ein gefährlicher Ort?
der Andere ein Freund oder ein Feind ist?
andere Menschen es gut mit uns meinen oder uns böse gesinnt sind?
andere uns unterstützen und helfen oder uns sowieso nur ausnutzen und schaden?
wir etwas beeinflussen und bewirken können oder dass wir Ereignisse nur über uns ergehen lassen und aushalten können?
Wie Sie nun bereits erkennen, werden traumatische Erfahrungen die inneren Verknüpfungen und Glaubensmuster nicht nur massiv, sondern auch in einer negativen Form beeinflussen.
Beziehung ist immer „auch“ bedrohlich
Die frühen verletzenden Beziehungserfahrungen führen dazu, dass traumatisierte Menschen andere Verknüpfungen aufbauen. Normalerweise lernen wir, dass nahestehende Menschen Sicherheit und Geborgenheit bedeuten, dann vermittelt uns spätere Nähe ein Gefühl von Sicherheit.
Dies ist aber nicht der Fall, wenn jemand Traumatisierungen in nahen Beziehungen erlebt hat. Traumatisierte Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass ihnen nahe Menschen Schmerzen zufügten. Dann verheißt Nähe nicht Sicherheit, sondern Gefahr!
Im Alltag wird sich diese Verknüpfung von Nähe und Bedrohung nicht durchgehend zeigen. Sie entfaltet ihre Wirkung erst, wenn sie in irgendeiner Weise relevant wird. Wenn uns jemand wirklich nahekommt, wenn es uns nicht gut geht, wenn wir schwach und verletzlich sind und gerade Schutz benötigen. Dann reagieren wir auf unser Erfahrungswissen, also darauf, was wir in unserem Leben bisher erfahren haben.
Wollen Sie Ihrer inneren Verknüpfungen ein wenig nachgehen, dann stellen Sie sich doch einmal folgende Frage: „Wie verhalte ich mich, wenn es mir nicht gut geht?“ Unser Verhalten wird nämlich von unseren frühen Erfahrungen und den daraus erfolgten Verknüpfungen beeinflusst.
Haben wir in unserer Kindheit erlebt, wie wir Unterstützung, Trost und Sicherheit bekamen, werden wir auch später die Nähe zu Personen suchen, wenn es uns nicht gut geht. Die Nähe fühlt sich gut, wohlig warm und sicher für uns an.
Haben wir hingegen erfahren, dass wir von unseren nächsten Personen sowieso nicht unterstützt wurden und nichts erwarten konnten, werden wir uns zurückziehen, wenn es uns schlecht geht. Die Nähe anderer Menschen hat nichts gebracht und wird daher auch nicht gesucht. In diesem Fall bleiben wir lieber allein mit unseren Sorgen und unserem Leid.
Haben wir erlebt, wie wir schutzlos ausgeliefert gegenüber nahen Menschen waren, wie wir von ihnen sogar verletzt, beschämt, gequält oder misshandelt wurden, wird sich diese Nähe nicht gut anfühlen. Sie wird uns Angst machen und uns bedrohen. Geht es uns dann nicht gut, werden wir uns in Sicherheit bringen und aus nahen Beziehungen flüchten.
Das heißt nicht, dass schwer verletzte oder traumatisierte Menschen keine Beziehungen eingehen wollen, es bedeutet nur, dass nahe Beziehungen für sie immer auch bedrohlich sein werden.
Eine kleine Beziehungsgeschichte (*)
Sabine liebte Manfred. Nie zuvor hatte sie einen Mann kennen gelernt, zu dem sie eine solch tiefe Zuneigung und Liebe empfand, die auch noch erwidert wurde.
Umso schlimmer war das Geschehen, das folgte. Da gab es diese Nähe und diese tiefe Verbundenheit zwischen ihnen und gerade als sie einen besonders schönen Tag miteinander verbrachten, verschwand Manfred unerwartet aus ihrem Leben. Er meldete sich einfach nicht mehr und war auch nicht mehr erreichbar für sie. Sabine verstand die Welt nicht mehr. Für sie war diese Nähe so unbeschreiblich schön, sie wollte mehr davon! Wie konnte er ausgerechnet jetzt, wo es doch so gut zwischen ihnen lief, verschwinden?
Immer wieder ließ sie ihre letzte Begegnung Revue passieren. War etwas vorgefallen, das sie nicht gesehen oder ignoriert hatte? Doch egal, wie sehr sie sich ihren Kopf auch zermarterte, sie konnte nicht begreifen, warum er verschwunden war.
Zwei Monate später – sie war fast darüber hinweggekommen – tauchte er unerwartet wieder in ihrem Leben auf. Reumütig und um Verzeihung bittend, übernahm er die alleinige Verantwortung für sein Verhalten. Er stammelte etwas von Angst, aber mehr konnte er dazu nicht sagen. Er versprach ihr hoch und heilig, dass sie ihm wichtig war und dass so etwas nie wieder vorkommen würde.
Sabine gab ihm eine neuerliche Chance, ohne zu ahnen, dass sich das Drama schon bald wiederholen würde. Er eroberte sie zurück und sie fing an ihm zu vertrauen, wodurch sich diese wunderschöne Nähe erneut zwischen ihnen aufbaute. Zumindest so lange, bis er abermals das Weite suchte.
Der wiederholte Beziehungsabbruch war extrem schmerzhaft für Sabine. Er hatte nicht mit ihr geredet, verschwand einfach und war nicht mehr erreichbar. Dieses Mal war sie sich sicher, dass es ein Abschied für immer war. Sie litt Höllenqualen. Nach einer Weile kehrte Manfred abermals zurück und mit ihm auch die Hoffnung, dass er sich dieses Mal geändert haben könnte. Aber dem war nicht so und mit jedem Verschwinden, wurde ihre Liebe ein bisschen weniger, bis Sabine so weit war, dass sie es schaffte, diese Beziehung zu beenden.
Die Flucht aus der „bedrohlichen Nähe“
Nicht immer ist die Flucht vor der Nähe so massiv, wie sie bei Manfred war. Manfred wurde in seiner Kindheit von einer der nächsten Bezugspersonen schwer traumatisiert. In der Nähe, die zu Sabine hin entstand, tauchte diese Erinnerungsspur wieder auf. Obwohl er sie liebte und ihre Nähe suchte, fühlte er eine solche Panik in sich aufsteigen, dass er nicht anders konnte, als den Kontakt zu ihr abzubrechen.
Nach einiger Zeit in der Entfernung, traten seine Liebesgefühle wieder in den Vordergrund und er suchte den Kontakt zu ihr. Solange Sabine – aufgrund ihrer Verletzung – die innere emotionale Distanz zu ihm aufrechterhielt, ging es gut. Doch kaum öffnete sie sich wieder, kam er in jenes Gefühl von Nähe, das ihn unsagbar bedrohte. Er landete in einem Ausnahmezustand und konnte nicht mehr mit ihr reden. Gefühlt ging es um sein Überleben. Und so lief er nicht nur von ihr fort, sondern er lief um sein Leben.
In seinem Innersten wusste Manfred, er sollte eine Therapie machen. Aber er fürchtete sich davor. Niemand hatte ihm jemals geholfen. In seiner Kindheit hatte er nur Verrat und Bestrafung erlebt, und so fühlte er sich bereits vom Gedanken eine Therapie zu machen bedroht.
Mit der Nähe kommt die existenzielle Angst
Nicht alle, die traumatisiert sind, verschwinden so völlig aus dem Kontakt, wie Manfred. Manche gehen für einen kürzeren Zeitraum, für ein paar Stunden oder Tage.
In jenen Momenten, in denen solche Fluchtimpulse aufsteigen, ist keine Zeit mehr. Keine Zeit, um darüber nachzudenken, warum man gerade fliehen möchte oder ob man wirklich fliehen muss? Keine Zeit, mit dem Partner darüber zu reden. Den Partner zu informieren oder zu erklären, dass man gerade gehen muss. Keine Zeit, den Partner zu beruhigen, indem man ihm mitteilt, dass man wiederkommen wird.
Manchmal zeigt sich diese Flucht nur sehr versteckt. Denn nicht immer geht der Flüchtende auch körperlich. Geschieht die Flucht innerlich, bleibt der Körper zwar in der Situation, aber innerlich ist keiner mehr da. Dann herrscht „lautes Schweigen“ in der Beziehung, wo der Geflüchtete verstummt und auch nichts mehr sagen kann.
Hat jemand nicht erlebt, dass Nähe sicher ist, wird es immer wieder Momente geben, wo die Angst auftaucht. Bei einer Traumatisierung ist es nicht nur die Angst davor, verletzt zu werden, es ist eine lebensbedrohliche Angst, die aufsteigt. In solchen Momenten kämpfen sie gefühlt um ihr Überleben!
Die „vermeintliche“ Rettung – alleine bleiben in der Not
Wirken solche Verknüpfungen, werden Beziehungen schwierig. Während Sabine gerne für Manfred dagewesen wäre, wenn es ihm schlecht ging, musste dieser in seiner Not an einen sicheren Ort flüchten – und dieser sichere Ort war nicht bei einem Menschen!
Hier geht es zu einem weiteren Beitrag von mir, wenn Liebe weh tut: “Wir können niemanden retten”
oder auch auf meiner Homepage: Wenn Liebe weh tut - Vom erfahrenen Trauma zum reinszenierten Beziehungstrauma
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(*) Alle Beispiele beschreiben gewisse Dynamiken und Strukturen. Die Namen sind fiktiv und wurden nur für einen leichteren Lesefluss hinzugefügt.
Das erste das wichtig ist, ist immer das Erkennen. Dann braucht es die Bereitschaft daran etwas verändern zu wollen - und zwar vorwiegend von der "verletzten Person" und nicht - wie häufig - nur vom "darunter leidenden Partner". Da es sich hier um eine alte Beziehungsverletzung handelt, empfehle ich eine Psychotherapie um zu lernen anders mit dieser Wunde umzugehen.
Wie kommt man da raus????