Dir ist nicht zu helfen!
Ein um seine Frau bemühter Mann zieht sich schweigend und frustriert zurück. Er hat aufgegeben, weil sie sich nicht unterstützen lässt.
Jetzt werde ich einmal ein wenig aus meinem beruflichen Alltag berichten. Zuerst einmal, ich liebe meinen Beruf, durch den ich jeden Tag Neues erfahren darf. Denn in der Praxis ereignen sich interessante und erkenntnisreiche Dinge. Daraus lassen sich Situationen, Emotionen, Muster ableiten, die sich bei vielen Menschen wiederfinden lassen. Und genau über solche Psychodynamiken werde ich versuchen zu schreiben.
Nicht alle von uns tragen dieselben Reaktionsmuster in sich, weshalb manche Erfahrungen auf uns zutreffen, während uns andere Erfahrungen hingegen völlig fremd sind. Genau das ist die spannende Seite an meinem Beruf. Ich darf so viele verschiedene Lebens- und Erfahrungswelten kennen lernen. Erfahrungswelten, die mir ansonsten vielleicht fremd geblieben wären.
Somit eröffne ich die neue Rubrik: Erkenntnisse von der Couch, nach der dieser Blog benannt wurde. Vorweg ist jetzt nur noch Eines zu sagen. Alle Protagonisten werden unter einem anderen Namen geführt. Die beschriebenen Geschichten bilden typische psychische Szenen und Dynamiken ab, die nicht von einer Person stammen, sondern viele betreffen.
Auf der Couch (*)
Verärgert sitzt Alois auf der Couch. Er hat sich doch so um die Probleme seiner Frau bemüht und weiß gar nicht warum „ER“ jetzt hier sitzt, wo doch seine Frau das Problem hat! Sie ist unzufrieden. Unzufrieden mit ihrem Leben, unzufrieden mit ihrer Arbeit und unzufrieden mit ihrer Beziehung. Jeden Tag hört er dieselbe Leier und er hat genug davon. Im Grunde hört er ihr gar nicht mehr wirklich zu. Sie will sich sowieso nicht helfen lassen und eh nur jammern.
Neben ihm sitzt seine Frau Susi weinend auf der Couch. Sie erzählt über ihre Probleme auf ihrer Arbeit und wie schwierig es gerade mit ihren Kollegen und dem Chef ist. So schwierig, dass sie an manchen Tagen gar nicht mehr aufstehen und zur Arbeit gehen will.
Sofort wirft ihr Partner von der Seite ein: Bereits vor geraumer Zeit hätte er ihr angeboten, sie könne ihre Arbeit kündigen, wenn diese so belastend sei. Bis sie einen neuen Job finden würde, würden sie mit dem Geld schon irgendwie über die Runden kommen. Auf sein Angebot reagiert Susi allerdings nicht mit einer erwarteten Erleichterung, sondern wendet sich zu mir und erklärt, dass sie nicht so einfach aufhören und gehen kann, weil sie nicht so leicht nachgeben will und nicht von ihrem Mann abhängig sein will. Ein wenig verzweifelt sitzt sie neben ihm und fühlt sich ziemlich allein.
Seit geraumer Zeit sind die beiden bereits ein Paar und eigentlich mögen sie einander ja, aber in letzter Zeit nerven sie sich gegenseitig nur noch. Sie drehen sich um dieselben Themen, fast jede Woche kommt es zum Streit und sie wissen nicht mehr weiter. Was ist bei den beiden bloß los?
Haben sie schon einmal etwas von einem weiblichen und einem männlichen Gehirn gehört? Davon, dass wir auf Gehirnebene die Situationen anders aufnehmen, anders gewichten und somit auch anders reagieren? Tatsächlich lassen sich in der Praxis solche Unterscheidungen finden, die aber nicht zwangsläufig nur mit dem Geschlecht zu tun haben. Die männliche Gewichtung der Wahrnehmung könnte ebenso als mentale und die weibliche Gewichtung der Wahrnehmung als emotionale Reaktionsweise verstanden werden. Frauen können ebenfalls eine mentale Ausrichtung haben, so wie Männer eine emotionale Ausrichtung aufweisen können. Hat ein Paar eine unterschiedliche Ausrichtung, dann ticken sie – im wahrsten Sinne des Wortes – einfach anders.
Die soeben beschriebene Szene ist ein Klassiker unter den Paardynamiken, wobei der Grund des ursprünglichen Problems austauschbar ist. Es könnte genauso gut ein Konflikt mit der Mutter oder dem Vater sein, es könnte um die Kindererziehung gehen, von Geldproblemen handeln oder sich um die Haushaltsführung drehen. Alles fängt damit an, dass es ein Problem gibt, dass häufig zu Beginn gar nichts mit der Paarbeziehung zu tun hat, über das man aber dennoch zunehmend in der Beziehung stolpert. Eine Paardynamik, welche sich wiederholt, verstärkt und schlussendlich zu einem typischen Ergebnis führt: Die Frau ärgert sich über den Mann, der sie so enttäuscht, während der Mann sich über seine Frau ärgert, die ihn so dermaßen frustriert. Zwischen dem Anfang und dem Ende dieser Dynamik findet meist einiges an Bemühen und aufeinander zugehen von beiden Seiten statt.
Susi hat Alois damals ausführlich von ihren Problemen erzählt. Er ist ihr wichtig und so will sie ihn an ihrem Leben teilhaben lassen. Auch Alois war interessiert – zumindest als er ihre Probleme anfangs hörte. Er war motiviert, ihr zu helfen. Kein Mann, den ich bisher in meiner Praxis erlebt habe, wollte jemals, dass es seiner Frau schlecht geht und diese unglücklich ist. Auch Alois wollte im Grunde nur das Susi wieder zufrieden und glücklich war. Doch was hat seine anfängliche Motivation so dermaßen verändert?
Denn mittlerweile ist Alois kühl geworden, erzählt mir Susi. Er interessiert sich nicht für ihre Probleme, fragt nie nach, wie es ihr auf der Arbeit geht und wenn sie ihm dann doch einmal etwas darüber erzählt, stößt sie auf wenig Widerhall. Sein Verhalten verletzt sie.
Aber warum ist Alois so kalt geworden? Fragen wir Alois, wird er ein wenig verzweifelt erzählen, dass er einfach nicht mehr kann oder nicht mehr will. Verstehen wir die mentale Funktionsweise, so wird ein wenig klarer, warum Alois so unterkühlt und frustriert neben seiner Frau sitzt. Alois reagiert männlich, mental und lösungsorientiert. Er will das Problem erfassen, eine Lösung finden und es beseitigen.
Am Anfang wird er also erst einmal über ihr Problem nachdenken und schon fängt das erste Beziehungsmissverständnis an. Denn in vielen Momenten sagt er anfangs gar nicht viel zu ihren Schilderungen. Er hat noch keine Lösung gefunden und ist gerade damit beschäftigt, darüber nachzudenken, wie er ihr helfen könnte. In solchen Augenblicken zieht er sich gerne schweigend zurück, um sich in aller Ruhe mit der Lösung ihres Problems zu beschäftigen.
In der Zwischenzeit ist seine Frau wahrscheinlich bereits das erste Mal enttäuscht, vielleicht sogar gekränkt. Sie fühlt sich alleingelassen, allein mit ihren Sorgen, Nöten oder Ängsten. Sie missversteht seine Signale und denkt sein Schweigen bedeute, er interessiere sich nicht für sie und ihre Probleme. Da er auch nicht nachfragt – weil er die Datenlage ja bereits kennt – und zudem keine sonderliche Reaktion zeigt, denkt sie: „Es ist ihm völlig egal wie es mir gerade geht“. Hat sie in diesem Bereich auch noch eine alte Verletzung, erlebt sie es sogar noch persönlicher, was die Situation noch weiter verschärft. Dann denkt sie: „Ich bin ihm völlig egal!“
Das Denken seiner Frau ist ihm völlig fremd. Er kommt gar nicht auf die Idee, dass sie glauben könnte, er interessiere sich nicht für sie, denn er beschäftigt sich ja innerlich bereits mit ihrem Problem. Zum Leidwesen seiner Frau spricht er allerdings nicht darüber. Er verschweigt ihr sozusagen, dass er sich mit ihren Problemen auseinandersetzt. Alois kam gar nicht auf die Idee, ihr zu sagen, dass er sehr viel über sie und ihre Probleme nachdachte. Für ihn ist es völlig normal, dass er sich mit ihren Problemen beschäftigt und weil es so selbstverständlich für ihn ist, spricht er auch nicht darüber.
Gekränkt sprach sie eine Weile das Thema nicht mehr an und ihr Mann war erleichtert - es hatte sich wohl erledigt, dachte er sich. Was für eine Fehleinschätzung! Nachdem er sie über einen längeren Zeitraum nicht mehr darauf ansprach, wurde Susi ärgerlich und vorwurfsvoll. Und er, er begreift nicht einmal, warum sie so böse auf ihn ist.
So wie sie nicht bemerkt hat, wie sehr ihn ihre Probleme beschäftigten, hat er auch nicht mitbekommen, dass sie auf ein Zeichen von ihm wartet. Ein Zugehen, damit sie weiß, dass er sich für sie interessiert.
Er hingegen hört nur ihre Vorwürfe, die ihn vielleicht auch noch an die Schimpftiraden seiner Mutter erinnern und die er sich garantiert nicht anhören will. Es kommt zu einem handfesten Streit, indem sie ihm vorwirft, er würde sich nicht für sie und ihr Leben interessieren. Jede ihrer Freundinnen, denen sie später vom Streit mit ihrem Mann erzählt, versteht sofort was sie meint und hat Mitgefühl mit ihr. Nur ihr Mann hat wieder einmal keine Ahnung!
Doch wenden wir uns noch einmal dem mantelen, lösungsorientierten Denken zu. Präsentiert er nämlich gleich am Anfang seine Lösung – und meist geschieht dies sehr rasch – dann wird sie nicht unbedingt zufrieden sein. Alois bot seiner Frau an sie könne die Arbeit, die sie so belastet, jederzeit kündigen, aber das war offensichtlich nicht, was sie wollte. In der Folge präsentierte er weitere Lösungen und was tat sie? „Sie machte einfach gar nichts“, meinte er frustriert. Sie fand tausend Gründe, warum sie diese Lösung nicht umsetzen konnte. Am Anfang war er noch bemüht und suchte motiviert nach weiteren Lösungen. Doch all seine Unterstützungsversuche wurden von ihr entweder abgeschmettert oder einfach nicht umgesetzt.
Irgendwann ist er – mittlerweile nicht mehr so verwunderlich – mehr als frustriert. Mit all seinen Kräften hat er versucht, sie zu unterstützen und ihr zu helfen, aber sie lässt sich einfach nicht helfen! Das ärgert ihn und macht ihn gleichzeitig hilflos. Eine äußerst unangenehme Gefühlsmischung, in der er sich gerade befindet. So entscheidet er sich, das tragische Geschehen, dass er doch nicht verändern kann, hinzunehmen. Nachdem immer wieder dieselbe Leier von ihr kommt, er mittlerweile aber weiß, dass sie ihre Situation sowieso nichts verändern möchte, hat er keinen Bock mehr, ihr bei diesem Thema noch weiter zuzuhören. Nun ist das eingetreten, was sie ihm schon vor geraumer Zeit vorgeworfen hat – er interessiert sich tatsächlich nicht mehr für ihr Problem!
Alois wollte Susi helfen, er wollte ihr Problem lösen und zwar so lösen, dass es erledigt war und er nicht mehr daran denken musste. Doch das ist bei Susi, die eine weibliche Reaktionsweise zeigt, nicht so einfach. Denn diese scheint gar nicht an einer Lösung ihres Problems interessiert zu sein. Sie scheint nur glücklich zu sein, wenn sie jammern kann. Zumindest war das der Vorwurf, den Alois ihr schlussendlich an den Kopf warf.
Aber was wollte Susi denn wirklich? Und ist sie tatsächlich nicht an einer Lösung ihres Problems interessiert? Ja und nein wäre meine Antwort darauf. Natürlich möchte Susi ihr Problem lösen, doch ihr weibliches Gehirn sucht gerade nach einer anderen Lösung.
(*) Alle Beispiele, die von der Couch erzählen, beschreiben gewisse Dynamiken und Strukturen. Die Klientennamen sind fiktiv und wurden nur für einen leichteren Lesefluss hinzugefügt.
Wie diese Geschichte weitergeht? Lesen in einfach in meinen Beitrag “Du verstehst mich nicht” weiter.
Sollte Ihnen dieser Beitrag geholfen oder gefallen haben, würde ich mich sehr über eine finanzielle Unterstützung meiner Arbeit freuen.
oder gerne auch direkt auf mein Konto:
Kontoinhaberin: Mag. Brigitte Fuchs
IBAN: AT20 3600 0000 0071 9542
BIC: RZTIAT22
Der Alois könnte ich sein. Wieviele Aloise gibt es wohl unter den Männern? Wieviele Streits wären nicht geschehen, wenn die Betroffenen rechtzeitig diesen Artikel gelesen und verinnerlicht hätten.