Informations-Bulimie oder: Warum ich keinen Podcast mache
Nehmen wir zu viele Informationen auf, ohne uns die Zeit zu geben diese noch zu verarbeiten, fehlen die Ruhezeiten für unseren Verstand.
Podcasts – Audio- oder Videobeiträge, die man sich anhören kann – boomen gerade. Aber was das betrifft, bin ich wohl ein wenig altmodisch und schreibe. Möglicherweise liegt es daran, dass ich nicht mehr die Jüngste bin, aber das ist nur ein Teil dieser Geschichte.
Podcast ermöglichen uns einen leichten Zugang zu Informationen. Für mich ist es ebenfalls einfacher über ein Thema zu reden, während es sich ein wenig mühsam erweist, dieselben Inhalte zu verschriftlichen. Oft habe ich eine Idee für einen Beitrag, habe auch bereits darüber gesprochen. Dann glaube ich, immer wieder ein wenig naiv, dass es einfach wird, diesen Beitrag zu schreiben. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Einen Inhalt zu verschriftlichen braucht nicht nur länger, sondern ist auch um einiges beschwerlicher. Um ein Geschehen in Worte zu fassen, braucht es einen inneren Freiraum, eine Muse und Zeit. Im Vergleich dazu kann das gesprochene Wort sofort in die Welt hinausgeschickt werden.
Die meisten Sprachnachrichten werden so in die Welt gesetzt. Ich spreche nicht mehr mit jemanden, sondern über etwas, zeichne es auf, verschicke es oder stelle es online. Oft wird das gesprochene Wort ungefiltert losgelassen. Dann wird eine Sprachnachricht versandt, ohne dass ich das Gesagte noch einmal anhöre, ohne mir zuzuhören, was ich da von mir gegeben habe, ohne noch einmal in mich zu gehen und zu überprüfen, ob ich das wirklich so sagen möchte.
Beim Geschriebenen ist es – zwar auch nicht immer, aber doch noch ein wenig häufiger – anders. Ich beispielsweise schreibe und lasse den Beitrag anschließend erst einmal stehen. Er darf nacharbeiten und ein wenig reifen. Nach einiger Zeit lese ich den Text noch einmal durch, mache Verbesserungen oder Erweiterungen. Dann erst kommt der Beitrag zu einem Testleser und wird bei Bedarf erneut überarbeitet. Klingt alles nach Aufwand und das ist es auch. Und obwohl der Aufwand um so vieles größer ist, bleibe ich beim Schreiben.
Im Grunde finde ich die Möglichkeiten, die wir heutzutage haben, toll. Informationen zu Themen zu finden, die mich interessieren, ist sehr einfach geworden. Andere erzählen mir von ihrem Wissen, von ihren Erfahrungen und ich muss nur noch passiv zuhören. Aber darin liegt auch die große Schwachstelle in dieser Geschichte. Es gibt keinen wirklichen Austausch. Einer redet und einer hört zu, oder auch nicht. Denn hören wir wirklich noch zu? Manchmal gewinne ich den Eindruck, dass Podcasts häufig nur noch so nebenbei konsumiert werden.
Um ehrlich zu sein, ich höre Podcasts ebenso häufig nur noch so nebenbei. Es ist bequem. Ich muss nicht denken und habe genügend Momente, in denen ich mir etwas anhören kann. Sei es neben dem Kochen, dem Putzen, während des Autofahrens, beim Cafe im Garten oder während dem Sport.
Es gibt viele Zeiten, die uns geistig nicht sonderlich beanspruchen, in denen wir unseren Verstand mit Informationen füllen können. Aber hören wir dem Erzählten dann noch wirklich zu?
Ich erinnere mich an meine Kindheit, als im Radio die Folgen eines Hörspiels zu hören waren. Wir lagen am Boden, malten ein wenig, während wir der Geschichte aufmerksam folgten. Auch wenn wir es mit Wehmut zur Kenntnis nahmen, war die Sendung irgendwann vorbei und die Folge zu Ende. Ja, damals gab es noch ein Ende. Wir konnten gar nicht alle Folgen in einem Marathon durchhören. Mit dem Ende entstand auf einmal Freiraum im Kopf. Die Geschichte konnte in uns nachhallen, wir konnten uns miteinander austauschen, darüber nachdenken oder uns vorstellen, wie die Geschichte wohl weitergehen würde. Zur damaligen Zeit gab es noch eine Freizeit für unseren Verstand – etwas, dass heute kaum mehr vorstellbar ist.
Mittlerweile hat sich einiges gewandelt und eine Auszeit für den Verstand gibt es kaum noch.
Manchmal höre ich von tollen Podcasts, mit der Empfehlung, ich solle mir „dieses oder jenes“ doch einmal anhören, oder höre vom Bedürfnis, sich einen bestimmten Podcast noch einmal anzuhören oder sich in das jeweilige Thema zu vertiefen. Das kennen Sie sicher auch, aber kommt es dann auch dazu? Oder lauert im Hintergrund nicht schon der nächste Podcast, der diese Thematik vertieft oder gleich ein weiteres Thema aufwirft? Wartet nicht an der nächsten Ecke bereits die nächste Information, die interessant ist und der wir nachlaufen sollten?
Wie viel Zeit nehmen wir uns noch, uns mit einer Information auseinander zu setzen? Lassen wir Informationen überhaupt noch auf uns wirken? Dürfen Informationen in uns nacharbeiten? Geben wir uns überhaupt noch die Zeit, all die Informationen, die wir in unser System aufnehmen auch noch zu verdauen?
Jetzt sind wir beim Hauptgrund, warum ich immer noch schreibe, gelandet. Lesen geht nicht so einfach nebenher. Es braucht ein wenig mehr. Wir müssen aktiver sein und lesen und können uns nicht nur aus dem Hintergrund berauschen lassen. Das bedeutet zwar noch nicht, dass wir uns auf das Gelesene einlassen und uns damit auseinandersetzen. Aber es bekommt zumindest ein wenig mehr Raum und Aufmerksamkeit als das beiläufige Lauschen.
Ich bin durchaus ein Freund vom Internet, aber die Gefahr der Informationsflut, der wir uns tagtäglich aussetzen ist nicht zu unterschätzen. Wie in allen Bereichen – die Dosis macht das Gift. Ab und an einen Podcast zu hören oder ein Video zu sehen, ist durchaus interessant und kann uns anstoßen, Dinge einmal ein wenig anders zu „behirnen“. Nur dafür müssen wir uns auf diese Information einlassen und uns Zeit nehmen.
Dem gegenüber steht aber, dass wir neugierig und wissbegierig sind, dass in uns immer noch ein kleiner kindlicher Entdecker schlummert. Das Internet schafft eine Welt der Verführung, in der es immer wieder Neues zu entdecken gibt. Wir treffen auf eine wahre Informationsflut und damit auf eine Gefahr, auf die wir nicht vorbereitet sind. All die Informationen fluten unseren Verstand und verführen uns dazu, nur noch im Kopf zu sein. Das Fühlen, der Körper, unsere Beziehungen oder wir selbst kommen dann mit der Zeit zu kurz.
Woran merken wir aber, dass wir auf dieser Spur wandeln? Konsumieren wir zu viele Informationen werden wir unruhig und rastlos. Wir werden gedrängt und kommen nicht mehr zur Ruhe. Und weil wir nicht mehr zur Ruhe kommen und vermutlich Schwierigkeiten mit dem Einschlafen bekommen, haben wir doch Zeit, gleich den nächsten Podcast zu hören oder das nächste Video zu sehen. Mit diesem Verhalten müllen wir unseren Verstand mit Informationen zu und haben gar keine Kapazitäten mehr, diese Informationen noch zu verarbeiten oder zu verdauen.
Wir müssen aufpassen, dass wir keine Informationsbulimie entwickeln, bei der wir ein überhöhtes Maß an Informationen aufnehmen, welches wir gar nicht mehr verarbeiten können.
Unverdaute Informationen stauen und werden irgendwann wieder nach außen abgegeben. Ein Verhalten, welches ich mittlerweile leider zunehmend häufiger beobachte. Dann sind Menschen so voller Informationen, dass sie nicht mehr wissen, wohin sie damit sollen. Die gestauten Informationen müssen irgendwie und irgendwo raus. Dann wird ein Zuhörer gesucht, auch wenn dieser nur virtuell sein mag. Bei einigen Podcasts kann man dieses Phänomen bereits hautnah miterleben. Als Zuhörer bekommt man dann eine Ladung an Informationen um die Ohren geworfen. Der Erzähler kann gar nicht mehr damit aufhören und wandert von einem Inhalt zum nächsten. Erschlagen von dieser Erzähldichte können wir dann gar nicht mehr folgen und steigen aus.
In diesem Sinne: Informationen sind ein wenig wie Futter für unseren Verstand. Nicht alles, was wir aufnehmen, ist gut für uns und nicht alles verdaulich. Sich nur noch so nebenher ständig mit Informationen anzufuttern ist ebenfalls ungünstig und im Übermaß genossen, schadet eine Anhäufung von Informationen mehr als sie nutzt.
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Dieser Beitrag wurde auch im Alpenfeuilleton veröffentlicht.
Danke. Ein sehr schöner Beitrag. Auch wenn ich gerne Podcasts mache.